Festigung
als Deutsche WiSim-Schmiede
Ob
der Erfolg von Patrizier in dem Umfang erwartet worden war, sei
einmal dahin gestellt. Jedenfalls wurde bereits Ende 1992 ein
weiteres Spiel vorbereitet. Ein junger Programmierer namens Gerald
Köhler, der in seiner Freizeit erst an einem C64, später dann an
einem Atari ST ein Spiel mit dem austauschbaren Namen „Kicker“
entwickelt hatte, vertrieb seine Fussballmanagersimulation über
Kleinanzeigen in einer Fachzeitschrift. Über die Firma Independent
Arts, die damals einen Programmierer suchten und Köhler ansprachen,
kam eine Kontaktaufnahme mit Ascon zustande. Das noch in GFA-Basic
programmierte Spiel wurde dann für den PC und Amiga umgesetzt, und
aus dem Ein-Mann-Projekt „Kicker“ wurde innerhalb von knapp sechs
Jahren das unglaublich erfolgreiche und noch heute beliebte
„Anstoss“.
Packshot von Anstoss. |
Ein gesuchtes Sammlerstück heutzutage. |
Die
Überraschung an Anstoss war, dass dieses Spiel trotz nur geringer
Marketingmaßnahmen ein großer Erfolg wurde. So wurde Anstoss im
Magazin PC Player erst in der Ausgabe 11/1993 angekündigt, im
Direktvergleich mit dem ursprünglich gleichzeitig erscheinen
sollenden Spiel „Hattrick“ - das Heft erschien knappe zwei
Wochen vor Release von Anstoss!
Eines der unterschiedlichen Mauspads, die man damals so dringend benötigte. |
Die
Truppe um Köhler hatte 13.000 Exemplare als Verkaufsziel im Kopf,
diese Zahl wurde nach seinem Bekunden bereits am ersten Tag im
Oktober 1993 erreicht und sogar überschritten. In ganz Europa wurden
in Folge 260.000 Stück von Anstoss verkauft. Köhler selbst erklärt
den Erfolg dieses Spiels mit dem Fokus auf den Spielspaß, denn
Anstoss spielt sich im Multiplayer noch heute gut. Weiterhin war die
Logik des Spiels in vielen Runden gereift – ein Feature, was sich
heute leider kaum ein Spiel noch leisten kann. Und der unter Fans
legendäre Ascaron-Humor lockerte das Spielerlebnis erheblich auf.
Während der „Bundesliga Manager Professional“ zum
Saisonwechsel mit einer zufälligen Meldung „Ihre Spieler werden
älter und schwächer“ alle Trainer in den Wahnsinn trieb (wobei
die nur eine Reminiszenz an den ersten Bundesliga Manager war und im
BMP aber keine Auswirkungen hatte), punktete Anstoss mit Ironie und
bissigem Spott. Kein Manager vorher kokettierte mit den
Schattenseiten des Fußballs so, wie Anstoss es tun sollte: Schwalben
Ja/Nein, Einsatz: Lieb & Nett oder Brutal?
Nach
dem Erfolg von Anstoss war ebenso klar wie auch schon nach Patrizier:
Diese Spiele mussten fortgesetzt werden. Zunächst jedoch wurde die
Popularität von Anstoss durch eine aufgewertete CD-ROM-Edition mit
Kommentaren von Marcel Reif genutzt, um auch auf multimediafähigen
PCs zu punkten. Gleichzeitig begann man auch, einen Nachfolger zu
konzipieren – noch basierend auf dem bewährten Grundkonzept von
Anstoss, aber die Zeit und den möglichen Kommerzwahnsinn des
anstehenden Großereignisses im Fussball ausnutzend: Zur WM 1994
sollte es eine WM-Edition geben. Und damit das Programmieren dieses
Spieles nicht wieder sechs Jahre dauerte, wurde professionell erst
ein Konzept entworfen und dann programmiert. Rechtzeitig zum
Großereignis dann im Juni erschien die „Anstoss World Cup
Edition“ sowohl für den PC als auch für den Amiga. Es war
kein großes Geheimnis, dass der Erfolg der WCE deutlich größer
einzustufen war, als der der deutschen Nationalmannschaft bei der
Weltmeisterschaft in den USA.
Der Packshot zu Anstoss World Cup Edition - Amiga Edition! |
Zwischenzeitlich
war bekannt geworden, dass sich C64-Legende Ralf Glau dem Ascon-Team
angeschlossen hatte. Als weitere Handelssimulation in
mittelalterlichem Setting wurde daher eine Neuauflage von Hanse aus
1986 angekündigt, die im Sommer 1994 dann auch im Midpricesegment
veröffentlicht wurde. Nachdem man mit den bisherigen Spielen sowohl
in den Disketten- als auch in den CD-Versionen quasi durch die Bank
Wertungen von über 80% in den gängien Spielemagazinen abgeräumt
hat, waren die nun mittelmäßigen Urteile (z.B. PC Player: 57%) dann
doch eher ernüchternd. Interessanterweise tat das dem Verkaufserfolg
keinen großen Abbruch, denn in den Media Control-Charts von November
1994 werden glatt drei der bisher erschienenen vier Spiele noch unter
den Top 20 geführt – Hanse dabei auf Platz 7, vor SimCity 2000
(8.) und Theme Park (11.). Thematisch war „Hanse – Die
Expedition“ nah am Patrizier, wenn auch nicht so überzeugend.
Dennoch, ähnlich wie später auch Vermeer, profitierte das Spiel
enorm davon, dass sich der Vorgänger bereits auf den alten
8-Bit-Rechnern einen Namen gemacht hatte.
Der Packshot von Hanse - Die Expedition |
Es gab natürlich auch Auflagen mit CD-ROM. |
Etwa
zur gleichen Zeit konnten Fußballfans dann das Anstoss-Bundle
(Anstoss 1 und die WCE) als günstigen „Doppelpass“ im
Handel erwerben. Bislang war die Adresse unserer Lieblingsfirma die
Brockhagener Str. 461 in Gütersloh. Doch in der Zwischenzeit, bis
zur Veröffentlichung des nächsten Spieles, zog Ascon um, und zwar
in die legendären Hallen an der Dieselstr. 66. Sofern mein
Kenntnisstand aktuell ist, ist das Firmenlogo an besagter Adresse
immer noch zu sehen (siehe auch P.S.!).
Das Bundle namens "Doppelpass" - da schon unter dem Namen Ascaron |
Von
„Elisabeth I.“ war jedoch auch Ende 1994 nicht viel zu vernehmen.
Auf der ECTS im Frühjahr 1995 in London, der damals neben der E3
größten Computerspielmesse, hatte unsere Lieblingsfirma sogar einen
kleinen Stand, auf dem weiterhin für Elisabeth I. Werbung gemacht
wurde. Ebenfalls hörte man von „Pole Position“ und einer
bis dato noch namenlosen Hubschrauber-Simulation. Pole Position wurde
daraufhin im Frühsommer 1995 vom Amiga Joker in einem Previewartikel
genauer betrachtet.
Jürgen
Kersting, zur der Zeit Entwicklungsleiter von Ascon sprach ein paar
Monate später in einem Interview mit dem Amiga Joker für dessen
Ausgabe 11/95 (Zeitpunkt des Gespräches also ca. im
September/Oktober 1995) über eine Amiga-Umsetzung von „Pole
Position“ und kündigte abermals an, dass die Helikopter-Simulation
„Das Hexagon-Kartell“ in Arbeit sei. Spannend an dieser
Stelle ist, dass Herr Kersting nebenher einen Roman geschrieben
hatte, der wiederum als Handlungsrahmen für das Hexagon-Kartell
fungiert hat. Im Interview selbst konnte man Screenshots des Spieles
sowohl im ECS- als auch im AGA-Format betrachten, inwieweit diese
tatsächliche Screenshots waren, lässt sich heute nicht mehr
feststellen. Denn die Geschichte verrät uns: Die Amiga-Version von
Pole Position ist nie erschienen.
Und
so erschien zum Jahreswechsel 1995/1996 eine anspruchsvolle
Formel-1-Management-Simulation, die mit 12 Disketten schon eine
stolze Installationsroutine mit sich brachte. Bemerkenswert auch,
dass der Verkaufsversion schon bald zwei weitere Disketten beigefügt
waren – Patch 1 und Patch 2. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
Packshot von Pole Position. |
Kurios: Der Diskettenauflage waren direkt zwei Disketten mit den ersten Patches hinzugefügt. |
Die CD-ROM-Version folgte knapp 3 Monate später, und auch im Bereich
Merchandising machte Ascon die ersten Schritte nach vorne: Neben
unsagbar peinlichen Baseball-Caps mit dem Ascon-Logo und in
wunderschönem Grau gehaltenen Polo-Shirts konnte man Mauspads und
Kaffeebecher mit dem Pole Position-Titelbild erwerben.
Kommt, Leute, wer traut sich, das in der Öffentlichkeit zu tragen? |
Hier könnte man ja immerhin nen Zipper drüberziehen... (Beide Bilder: Foto von www.ascaron.com, gefunden auf archive.org) |
Bereits
im oben erwähnten Amiga Joker-Interview hielt Ascon sich eine
Hintertür offen: Angeblich wurde bereits an einer selbstständig
spielbaren Erweiterung von Pole Position gearbeitet, die den
Actionteil ergänzen sollte, d.h. selbst Gas geben und lenken statt
KI-Fahrer. Denkbar ist diese Erweiterung aus heutiger Sicht durch die
gleichzeitig erfolgende Arbeit am Hexagon-Kartell – möglicherweise
wurde mit der zugrunde liegenden Engine dahingehend experimentiert,
auch 3D-Modelle von Formel 1-Boliden spielbar zu machen. Aber auch
hier wissen wir: Ein solches Spiel im Formel 1-Zirkus ist von Ascaron
nie veröffentlicht worden.
Der
auch heute noch bekannte „Grand Prix Manager“ von
Microprose erschien im Weihnachtsgeschäft 1995 quasi gleichzeitig.
Im relativ direkten Duell in der PC Joker konnte das Ascaron-Produkt
immerhin 85% absahnen, während das Microprose-Spiel „nur“ auf
81% kam – eine Ausgabe später. Interessant ist dazu der Fakt, dass
die Mitbewerber von Software 2000 (die auch im Fußballmanagergenre
ernste Konkurrenten waren) wenige Monate später ebenfalls ein
genregleiches Spiel namens „F1 Manager 96“
veröffentlichten. Hier vergab der PC Joker 86%. Wer das Spiel je
gespielt hat, weiß allerdings, dass der Joker maximal eine Saison
getestet haben kann, denn mit diesem Spiel bekam der gute Ruf von
Software 2000 die ersten fetten Kratzer. Aber das ist eine andere
Geschichte und soll andermal erzählt werden.
Von
„Elisabeth I.“ wiederum war auch Ende 1995 nicht viel zu hören.
Wobei man fairerweise sagen muss, dass das Spiel im betreffenden
Sommer für den Herbst 1995 angekündigt wurde. Und auf der ECTS im
Herbst 1995 wurde daher quasi das gleiche Portfolio wie schon ein
halbes Jahr eher vorgestellt – nur, dass das Hexagon-Kartell eben
einen Namen hatte und Pole Position kurz vor der Veröffentlichung
stand.
In
der PC Player Nr. 8/1996, welche im Juli 1996 erschien, fand der an
historischen Wirtschaftssimulationen interessierte PC-Spieler einen
Testbericht über ein Spiel namens „Elisabeth I.“ - mehr als drei
Jahre nach dem einst vorlaut verkündeten möglichen Releasetermin.
Wieder einmal überzeugt das Spiel zumindest halbwegs, Mick Schnelle
vergibt ebenso wie Boris Schneider-Johne zufriedenstellende drei von
fünf möglichen Sternen im Test, wenn auch die Kritik deutlich wird,
dass man dem Spiel die so lange Entwicklungszeit nicht immer positiv
anmerkt: Der Handelsteil wirke zu aufgesetzt, eigentlich sind zu
wenige Quests enthalten und die Idee der Videosequenzen sei zwar
prima, aber die Qualität schwanke zwischen, Zitat der PC Player,
„laienhaft und unterem Stadttheaterniveau“. Das Handbuch zu
Elisabeth I. ist dabei ein besonderes Schmuckstück unter den
Spiele-Handbüchern. Neben einer ausführlichen Spielanleitung über
rund 50 Seiten gibt es ausführlichen geschichtlichen Hintergrund zu
den damaligen Verwicklungen zwischen Elisabeth I. und Maria Stuart
auf über 60 Seiten. Natürlich ist es möglich, dass das Schreiben
dieses Teils einen Großteil der Entwicklungszeit gefressen hat...
Dennoch, als „Patrizier Reloaded“ bekommt das Spiel recht gute
Wertungen (PC Joker: 83%, Power Play 76%) und vor allem die schöne
Grafik wird hervorgehoben. Und ein gewisser Carsten Borgmeier, der in
der Joker-Redaktion zuhause war, hat dazu ein sehr nettes Cluebook
geschrieben, welches dem nicht so handelstüchtigen Spieler gehörig
unter die Arme greifen konnte.
Packshot von Elisabeth I. |
Das Handbuch alleine ist einen Blick wert - falls man historisch interessiert ist. |
Das zu der Zeit fast obligatorische Cluebook von Herrn Carsten Borgmeier. |
Während
all dieser Zeit war Ascon jedoch nicht nur im Inland tätig. Schon
bald nachdem der Patrizier veröffentlicht wurde, gründete Holger
Flöttmann die ASCON Ltd. in London, die daraufhin den Vertrieb der
ins Englische bzw. Französische übersetzten Spiele übernahm. Im
Dezember 1993 wagte man gar den Schritt nach Übersee und brachte den
Patrizier in Amerika an den Mann. Auch Anstoss sollte
grenzübergreifend verkauft werden: Als „On the ball“ oder
„Carton Rouge“ wurde Anstoss um den Jahreswechsel 1994/95
auch in England und Frankreich ein Verkaufsschlager. Auch die
weiteren Spiele Pole Position (als „Team F1“) und
Elisabeth I. (als „Gloriana“) wurden kurze Zeit nach den
Releases entsprechend lokalisiert in den weiteren großen Märkten
veröffentlicht. Die Anstoss WCE erschien z.B. als „Hopp
Schwiiz!“ bei den Eidgenossen. Beinahe erwartungsgemäß war
der Patrizier im englischsprachigen Raum eher nur ein mittelmäßiger
Erfolg. Aber dieses Schicksal teilten in der Vergangenheit schon
viele deutsche Produktionen...
P.S. Die
PC Games hat im Frühjahr 2003 Ascaron besucht. Das Video haben Sie
damals auf einer der PC Games-DVDs veröffentlicht, Interessierte
können sich das Video unter
https://www.youtube.com/watch?v=mMpszpyPDKc
ansehen.