Sonntag, 13. Dezember 2015

Die Ascaron-Chronik: Kapitel 2

Festigung als Deutsche WiSim-Schmiede

Ob der Erfolg von Patrizier in dem Umfang erwartet worden war, sei einmal dahin gestellt. Jedenfalls wurde bereits Ende 1992 ein weiteres Spiel vorbereitet. Ein junger Programmierer namens Gerald Köhler, der in seiner Freizeit erst an einem C64, später dann an einem Atari ST ein Spiel mit dem austauschbaren Namen „Kicker“ entwickelt hatte, vertrieb seine Fussballmanagersimulation über Kleinanzeigen in einer Fachzeitschrift. Über die Firma Independent Arts, die damals einen Programmierer suchten und Köhler ansprachen, kam eine Kontaktaufnahme mit Ascon zustande. Das noch in GFA-Basic programmierte Spiel wurde dann für den PC und Amiga umgesetzt, und aus dem Ein-Mann-Projekt „Kicker“ wurde innerhalb von knapp sechs Jahren das unglaublich erfolgreiche und noch heute beliebte „Anstoss“.

Packshot von Anstoss.

Ein gesuchtes Sammlerstück heutzutage.
Die Überraschung an Anstoss war, dass dieses Spiel trotz nur geringer Marketingmaßnahmen ein großer Erfolg wurde. So wurde Anstoss im Magazin PC Player erst in der Ausgabe 11/1993 angekündigt, im Direktvergleich mit dem ursprünglich gleichzeitig erscheinen sollenden Spiel „Hattrick“ - das Heft erschien knappe zwei Wochen vor Release von Anstoss!

Eines der unterschiedlichen Mauspads, die man damals so dringend benötigte.


Die Truppe um Köhler hatte 13.000 Exemplare als Verkaufsziel im Kopf, diese Zahl wurde nach seinem Bekunden bereits am ersten Tag im Oktober 1993 erreicht und sogar überschritten. In ganz Europa wurden in Folge 260.000 Stück von Anstoss verkauft. Köhler selbst erklärt den Erfolg dieses Spiels mit dem Fokus auf den Spielspaß, denn Anstoss spielt sich im Multiplayer noch heute gut. Weiterhin war die Logik des Spiels in vielen Runden gereift – ein Feature, was sich heute leider kaum ein Spiel noch leisten kann. Und der unter Fans legendäre Ascaron-Humor lockerte das Spielerlebnis erheblich auf. Während der „Bundesliga Manager Professional“ zum Saisonwechsel mit einer zufälligen Meldung „Ihre Spieler werden älter und schwächer“ alle Trainer in den Wahnsinn trieb (wobei die nur eine Reminiszenz an den ersten Bundesliga Manager war und im BMP aber keine Auswirkungen hatte), punktete Anstoss mit Ironie und bissigem Spott. Kein Manager vorher kokettierte mit den Schattenseiten des Fußballs so, wie Anstoss es tun sollte: Schwalben Ja/Nein, Einsatz: Lieb & Nett oder Brutal?

Nach dem Erfolg von Anstoss war ebenso klar wie auch schon nach Patrizier: Diese Spiele mussten fortgesetzt werden. Zunächst jedoch wurde die Popularität von Anstoss durch eine aufgewertete CD-ROM-Edition mit Kommentaren von Marcel Reif genutzt, um auch auf multimediafähigen PCs zu punkten. Gleichzeitig begann man auch, einen Nachfolger zu konzipieren – noch basierend auf dem bewährten Grundkonzept von Anstoss, aber die Zeit und den möglichen Kommerzwahnsinn des anstehenden Großereignisses im Fussball ausnutzend: Zur WM 1994 sollte es eine WM-Edition geben. Und damit das Programmieren dieses Spieles nicht wieder sechs Jahre dauerte, wurde professionell erst ein Konzept entworfen und dann programmiert. Rechtzeitig zum Großereignis dann im Juni erschien die „Anstoss World Cup Edition“ sowohl für den PC als auch für den Amiga. Es war kein großes Geheimnis, dass der Erfolg der WCE deutlich größer einzustufen war, als der der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in den USA.

Der Packshot zu Anstoss World Cup Edition - Amiga Edition!
 Bereits im Frühjahr 1993, gleichzeitig mit der Ankündigung der CD-Version vom Patrizier wurde für ein weiteres Strategiespiel Werbung gemacht: „Elisabeth I.“ - zunächst für den Sommer 1993 angekündigt, und zwar direkt als Disketten- und als verbesserte CD-Version. In einem Interview auf der Amiga Messe im November 1992 hatte Holger Flöttmann gegenüber der Amiga Games das Spiel sogar für „spätestens Mai 1993“ avisiert. Allerdings ließ Elisabeth noch eine Weile auf sich warten, wie wir heute wissen.

Zwischenzeitlich war bekannt geworden, dass sich C64-Legende Ralf Glau dem Ascon-Team angeschlossen hatte. Als weitere Handelssimulation in mittelalterlichem Setting wurde daher eine Neuauflage von Hanse aus 1986 angekündigt, die im Sommer 1994 dann auch im Midpricesegment veröffentlicht wurde. Nachdem man mit den bisherigen Spielen sowohl in den Disketten- als auch in den CD-Versionen quasi durch die Bank Wertungen von über 80% in den gängien Spielemagazinen abgeräumt hat, waren die nun mittelmäßigen Urteile (z.B. PC Player: 57%) dann doch eher ernüchternd. Interessanterweise tat das dem Verkaufserfolg keinen großen Abbruch, denn in den Media Control-Charts von November 1994 werden glatt drei der bisher erschienenen vier Spiele noch unter den Top 20 geführt – Hanse dabei auf Platz 7, vor SimCity 2000 (8.) und Theme Park (11.). Thematisch war „Hanse – Die Expedition“ nah am Patrizier, wenn auch nicht so überzeugend. Dennoch, ähnlich wie später auch Vermeer, profitierte das Spiel enorm davon, dass sich der Vorgänger bereits auf den alten 8-Bit-Rechnern einen Namen gemacht hatte.


Der Packshot von Hanse - Die Expedition

Es gab natürlich auch Auflagen mit CD-ROM.
Etwa zur gleichen Zeit konnten Fußballfans dann das Anstoss-Bundle (Anstoss 1 und die WCE) als günstigen „Doppelpass“ im Handel erwerben. Bislang war die Adresse unserer Lieblingsfirma die Brockhagener Str. 461 in Gütersloh. Doch in der Zwischenzeit, bis zur Veröffentlichung des nächsten Spieles, zog Ascon um, und zwar in die legendären Hallen an der Dieselstr. 66. Sofern mein Kenntnisstand aktuell ist, ist das Firmenlogo an besagter Adresse immer noch zu sehen (siehe auch P.S.!).

Das Bundle namens "Doppelpass" - da schon unter dem Namen Ascaron
Von „Elisabeth I.“ war jedoch auch Ende 1994 nicht viel zu vernehmen. Auf der ECTS im Frühjahr 1995 in London, der damals neben der E3 größten Computerspielmesse, hatte unsere Lieblingsfirma sogar einen kleinen Stand, auf dem weiterhin für Elisabeth I. Werbung gemacht wurde. Ebenfalls hörte man von „Pole Position“ und einer bis dato noch namenlosen Hubschrauber-Simulation. Pole Position wurde daraufhin im Frühsommer 1995 vom Amiga Joker in einem Previewartikel genauer betrachtet.

Jürgen Kersting, zur der Zeit Entwicklungsleiter von Ascon sprach ein paar Monate später in einem Interview mit dem Amiga Joker für dessen Ausgabe 11/95 (Zeitpunkt des Gespräches also ca. im September/Oktober 1995) über eine Amiga-Umsetzung von „Pole Position“ und kündigte abermals an, dass die Helikopter-Simulation „Das Hexagon-Kartell“ in Arbeit sei. Spannend an dieser Stelle ist, dass Herr Kersting nebenher einen Roman geschrieben hatte, der wiederum als Handlungsrahmen für das Hexagon-Kartell fungiert hat. Im Interview selbst konnte man Screenshots des Spieles sowohl im ECS- als auch im AGA-Format betrachten, inwieweit diese tatsächliche Screenshots waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Denn die Geschichte verrät uns: Die Amiga-Version von Pole Position ist nie erschienen.

Und so erschien zum Jahreswechsel 1995/1996 eine anspruchsvolle Formel-1-Management-Simulation, die mit 12 Disketten schon eine stolze Installationsroutine mit sich brachte. Bemerkenswert auch, dass der Verkaufsversion schon bald zwei weitere Disketten beigefügt waren – Patch 1 und Patch 2. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt... 
Packshot von Pole Position. 
Kurios: Der Diskettenauflage waren direkt zwei Disketten mit den ersten Patches hinzugefügt.
Die CD-ROM-Version folgte knapp 3 Monate später, und auch im Bereich Merchandising machte Ascon die ersten Schritte nach vorne: Neben unsagbar peinlichen Baseball-Caps mit dem Ascon-Logo und in wunderschönem Grau gehaltenen Polo-Shirts konnte man Mauspads und Kaffeebecher mit dem Pole Position-Titelbild erwerben.

Kommt, Leute, wer traut sich, das in der Öffentlichkeit zu tragen?

Hier könnte man ja immerhin nen Zipper drüberziehen...
(Beide Bilder: Foto von www.ascaron.com, gefunden auf archive.org)
Bereits im oben erwähnten Amiga Joker-Interview hielt Ascon sich eine Hintertür offen: Angeblich wurde bereits an einer selbstständig spielbaren Erweiterung von Pole Position gearbeitet, die den Actionteil ergänzen sollte, d.h. selbst Gas geben und lenken statt KI-Fahrer. Denkbar ist diese Erweiterung aus heutiger Sicht durch die gleichzeitig erfolgende Arbeit am Hexagon-Kartell – möglicherweise wurde mit der zugrunde liegenden Engine dahingehend experimentiert, auch 3D-Modelle von Formel 1-Boliden spielbar zu machen. Aber auch hier wissen wir: Ein solches Spiel im Formel 1-Zirkus ist von Ascaron nie veröffentlicht worden.

Der auch heute noch bekannte „Grand Prix Manager“ von Microprose erschien im Weihnachtsgeschäft 1995 quasi gleichzeitig. Im relativ direkten Duell in der PC Joker konnte das Ascaron-Produkt immerhin 85% absahnen, während das Microprose-Spiel „nur“ auf 81% kam – eine Ausgabe später. Interessant ist dazu der Fakt, dass die Mitbewerber von Software 2000 (die auch im Fußballmanagergenre ernste Konkurrenten waren) wenige Monate später ebenfalls ein genregleiches Spiel namens „F1 Manager 96“ veröffentlichten. Hier vergab der PC Joker 86%. Wer das Spiel je gespielt hat, weiß allerdings, dass der Joker maximal eine Saison getestet haben kann, denn mit diesem Spiel bekam der gute Ruf von Software 2000 die ersten fetten Kratzer. Aber das ist eine andere Geschichte und soll andermal erzählt werden.

Von „Elisabeth I.“ wiederum war auch Ende 1995 nicht viel zu hören. Wobei man fairerweise sagen muss, dass das Spiel im betreffenden Sommer für den Herbst 1995 angekündigt wurde. Und auf der ECTS im Herbst 1995 wurde daher quasi das gleiche Portfolio wie schon ein halbes Jahr eher vorgestellt – nur, dass das Hexagon-Kartell eben einen Namen hatte und Pole Position kurz vor der Veröffentlichung stand.

In der PC Player Nr. 8/1996, welche im Juli 1996 erschien, fand der an historischen Wirtschaftssimulationen interessierte PC-Spieler einen Testbericht über ein Spiel namens „Elisabeth I.“ - mehr als drei Jahre nach dem einst vorlaut verkündeten möglichen Releasetermin. Wieder einmal überzeugt das Spiel zumindest halbwegs, Mick Schnelle vergibt ebenso wie Boris Schneider-Johne zufriedenstellende drei von fünf möglichen Sternen im Test, wenn auch die Kritik deutlich wird, dass man dem Spiel die so lange Entwicklungszeit nicht immer positiv anmerkt: Der Handelsteil wirke zu aufgesetzt, eigentlich sind zu wenige Quests enthalten und die Idee der Videosequenzen sei zwar prima, aber die Qualität schwanke zwischen, Zitat der PC Player, „laienhaft und unterem Stadttheaterniveau“. Das Handbuch zu Elisabeth I. ist dabei ein besonderes Schmuckstück unter den Spiele-Handbüchern. Neben einer ausführlichen Spielanleitung über rund 50 Seiten gibt es ausführlichen geschichtlichen Hintergrund zu den damaligen Verwicklungen zwischen Elisabeth I. und Maria Stuart auf über 60 Seiten. Natürlich ist es möglich, dass das Schreiben dieses Teils einen Großteil der Entwicklungszeit gefressen hat... Dennoch, als „Patrizier Reloaded“ bekommt das Spiel recht gute Wertungen (PC Joker: 83%, Power Play 76%) und vor allem die schöne Grafik wird hervorgehoben. Und ein gewisser Carsten Borgmeier, der in der Joker-Redaktion zuhause war, hat dazu ein sehr nettes Cluebook geschrieben, welches dem nicht so handelstüchtigen Spieler gehörig unter die Arme greifen konnte.
Packshot von Elisabeth I.

Das Handbuch alleine ist einen Blick wert - falls man historisch interessiert ist.
Das zu der Zeit fast obligatorische Cluebook von Herrn Carsten Borgmeier.
Während all dieser Zeit war Ascon jedoch nicht nur im Inland tätig. Schon bald nachdem der Patrizier veröffentlicht wurde, gründete Holger Flöttmann die ASCON Ltd. in London, die daraufhin den Vertrieb der ins Englische bzw. Französische übersetzten Spiele übernahm. Im Dezember 1993 wagte man gar den Schritt nach Übersee und brachte den Patrizier in Amerika an den Mann. Auch Anstoss sollte grenzübergreifend verkauft werden: Als „On the ball“ oder „Carton Rouge“ wurde Anstoss um den Jahreswechsel 1994/95 auch in England und Frankreich ein Verkaufsschlager. Auch die weiteren Spiele Pole Position (als „Team F1“) und Elisabeth I. (als „Gloriana“) wurden kurze Zeit nach den Releases entsprechend lokalisiert in den weiteren großen Märkten veröffentlicht. Die Anstoss WCE erschien z.B. als „Hopp Schwiiz!“ bei den Eidgenossen. Beinahe erwartungsgemäß war der Patrizier im englischsprachigen Raum eher nur ein mittelmäßiger Erfolg. Aber dieses Schicksal teilten in der Vergangenheit schon viele deutsche Produktionen...

P.S. Die PC Games hat im Frühjahr 2003 Ascaron besucht. Das Video haben Sie damals auf einer der PC Games-DVDs veröffentlicht, Interessierte können sich das Video unter https://www.youtube.com/watch?v=mMpszpyPDKc ansehen.