Höhepunkte des Schaffens
Mit
GP500 versuchte Ascaron dann später noch einen weiteren Schritt. Die
Ära der Heimcomputer war längst vorbei, und der PC hatte sich als
ernstzunehmende Spieleplattform etabliert. Doch neben den PCs wuchs
der Konsolenmarkt stark vor sich hin. Die Playstation eroberte 1995
die Welt und war der Vorreiter der sogenannten fünften Generation
der Spielekonsolen. Grundsätzlich war die Playstation schon früh
die 3D-Plattform schlechthin. Neben bekannten Meilensteinen der
Videospielhistorie wie Final Fantasy VII, Gran Turismo, Resident Evil
und vielen anderen hatte die Playstation allerdings auch schon früh
mit Piraterie zu kämpfen – gechippte Playstations konnten
gebrannte CDs abspielen, was durch die Ende der Neunziger immer
günstiger werdenden CD-Brenner noch weiter begünstigt wurde.
Dennoch: Das System konnte sich gegenüber den modulbasierten
Konsolen wie dem früher erschienenen Atari Jaguar oder dem erst
später auf den Markt gebrachten Nintendo 64 alleine dadurch schon
besser durchsetzen. Die Konsole, die Ende der Neunziger die größte
Marktdichte hatte und damit auch die größten Chancen auf
erfolgreiche Spiele hatte, war eindeutig die Playstation.
Aufgrund
der 3D-Fähigkeiten der Playstation war GP 500ccm mit Sicherheit ein
guter Kandidat um sich hier für eine Umsetzung der PC-Version zu
bewerben. In Sachen Rennspielen war die Playstation wirklich gut
ausgestattet, aber im Genre der Motorradspiele war wenig Auswahl zu
finden. So war das bereits am PC in eine Nische stoßende GP 500ccm
auch auf der Playstation ein Spiel mit nur wenigen direkten
Konkurrenten.
Packshot von Extreme 500 |
Die
Maniac 1/2000 wertete die Umsetzung mit hervorragenden 80% - ein
weiteres Zeichen, das Ascaron grundsätzlich eine richtige
Entscheidung getroffen hatte. Nur um den Vergleich zu ziehen: In der
gleichen Ausgabe wurde Tomb Raider 4 (85%), Grandia (90%) und Crash
Team Racing (82%) getestet und man kann schon sagen, das „Extreme
500“ – so der Name der Playstation-Version – sich ganz wacker
geschlagen hat. Dennoch: Auch hier blieb der große Wurf in Sachen
Verkaufserfolg wohl aus.
Parallel
zu Extreme 500 war ja bereits Anstoss 3 in der Entwicklung. Aufgrund
der höheren internen Anforderungen an die 3D-Engine – die Szenen
sollten zukünftig nicht vorgesetzt werden, sondern je nach
Spielsituation live berechnet werden – war es wichtig, weitere
Erfahrungen mit der zugrundeliegenden Engine zu machen und diese
fußballtauglich zu machen. Wie wir aus dem Preview der PC Games
08/1999 entnehmen können, sprach Henrik Nordhaus die Erwartungen
deutlich aus: „Ab sofort wird jeder Paß […] genauestens
aufgrund der Spielerwerte kalkuliert und von der Anstoss-3-Engine
live übertragen.“ Das sorgte natürlich im Anstoss-Fanlager
für Euphorie, gerade, da der EA-Manager zu der Zeit noch keine
ernsthafte Konkurrenz war und der Manager „Kurt“ aus 1999 ebenso
wie der noch ältere "Bundesliga Manager 98" doch schon sehr angestaubt
wirkte. Viele, sehr ausführliche Previews in allen einschlägigen
Zeitschriften hypten das Spiel sehr, und dann, am 10. Februar 2000
war es endlich soweit: Anstoss 3 ist im Handel erhältlich!
Packshot von Anstoss 3 |
Eine volle Verpackung: Auf der kleinen Karte in der Mitte zu sehen: Das legendäre gelbe Anstoss-3-Trikot, welches es bei EMP zu kaufen gab. |
Augenzwinkernde
Ereignisse, ein Beckenbauer-Stimmimitator und ein Reigen von
Halbzeitansprachen machten aus Anstoss 3 quasi aus dem Stand die neue
Referenz im Fussballmanagement. Leider war auch hier früh klar, dass
für einige Bugs der Lebensberechtigungsschein doch über Release
hinaus ausgestellt war, so dass es zu einigen Patches kommen musste.
Erst mit Patch 1.40 (also dem vierten Patch!) wurde Anstoss 3 als
„fertig“ bezeichnet. Dennoch überzeugte Anstoss 3 in der Presse
so ziemlich jeden: Von den großen Zeitschriften werteten die PC
Player und die PC Games mit 86% am geringsten (!). Die Gamestar in
Person von Mick Schnelle verkündete die neue Referenz des Genres und
dass Anstoss 3 dies auf absehbare Zeit auch bleiben werde.
Beliebtes Motiv für das A3-Merchandising wie T-Shirts oder Kaffeebecher. |
Das offizielle Lösungsbuch von Gerald Köhler himself |
Trotzdem
war Gerald Köhler als Projektleiter nicht wirklich zufrieden. Dass
Anstoss 3 durch derart viele Patches nachgebessert wurde, war nicht
in seinem Sinne. In einem Interview mit www.anstoss-jünger.de sprach
Guido Eickmeyer 2007 davon, dass aufgrund der überschaubaren Größe
des Unternehmens gewisse ökonomische Zwänge vorhanden seien. Dazu
später auch mehr. Im Laufe des Projektes Anstoss 3 wurde Köhler die
Leitung der Konzeptabteilung übertragen, so dass bereits im Mai 1999
sein Bruder Heiko mit der Konzeption von Anstoss 4 begann. Bereits
kurz nach Release von A3 gab Ascaron bekannt, dass Ascaron sich mit
dem neuen Projekt „Anstoss Action“ zukünftig mit EA Sports
messen wolle, mit dem Kniff, dass sich beide Programme miteinander
koppeln lassen würden.
Für
Gerald Köhler war Anstoss 3 tatsächlich jedoch der Abschied von
Ascaron. Gemeinsam mit Rolf Langenberg wechselte er zu EA. Den sehr
treuen Fans ging der Wechsel nahe, und wie man heutzutage sagen
würde, erlebte Ascaron – bzw. Herr Köhler – nach Bekanntwerden
einen mittleren Shitstorm. Gerald verglich den Wechsel mit einem
Angebot von Real Madrid: Wenn der Branchenprimus anklopft, dann sagt
niemand Nein. Im übrigen habe Anstoss 3 „die maximale Größe
erreicht“.
Wozu
die Community fähig war, sollte sich in diesem August zum ersten
Mal richtig zeigen. Im Anstoss-3-Forum wurde eine Party geplant.
Ascaron war so entgegenkommend und stellte neben Zelt auch ein paar
Getränke, und so fand das erste, legendäre Fanfest statt. Sogar
Gerald Köhler ließ sich dort blicken und für die Beteiligten ist
das Fest sicher auch heute noch in guter Erinnerung. Es sollte –
wie Eingeweihte wissen – lange nicht das letzte Fanfest bleiben.
Im
Lauf des Sommers dann erschien Anstoss auch auf der Playstation.
Allerdings war dies nicht wirklich ein Anstoss – sondern nur die
Lizenzierung des Namens für einen „No-Name“-Fussball Manager.
Außer dem Namen „Anstoss“ hat dieses Spiel nicht viel mit
unserem geliebten Manager zu tun. In der Creditliste von Anstoss
Premier Manager taucht nicht ein bekannter Name auf. Zu Gute
halten kann man dem Spiel aber, dass es ein guter Fussballmanager für
die Playstation war.
Packshot von AnstossPremier Manager |
Das
AddOn „Golden Goal“, welches nach einer zwischenzeitlichen
Verschiebung von Ende 2000 für das Frühjahr 2001 angekündigt war,
wurde mit einer kurzen Mitteilung im Forum relativ sang- und klanglos
eingestellt. Grund dafür war die nicht mehr zu gewährleistende
Fehlerfreiheit bei Einbau neuer Features aufgrund des komplexen
Programmcodes. Wenn man überlegt, dass Anstoss 3 bereits auf dem
Programmcode von Anstoss 2 beruhte und auch hier zwischenzeitlich das
AddOn Verlängerung eingebaut wurde, so war diese Entscheidung gerade
im Hinblick auf den Weggang von Gerald Köhler (und Rolf Langenberg,
der den Programmcode weitestgehend entwickelt hatte) im April 2000
sicherlich nachzuvollziehen. Dennoch bleiben einige Fragen offen,
denn welche neuen Features das AddOn gehabt hätte, ist nicht bekannt
– oder besser: Heute nicht mehr zu recherchieren. Laut der
offiziellen Lesart sollten die guten Ideen statt in ein AddOn einfach
direkt in Anstoss 4 einfließen.
Neben
der Weiterentwicklung des Zugpferdes „Anstoss“ werkelte ein
weiteres Projektteam im Hintergrund an der lang ersehnten Fortsetzung
zum Patrizier. Der wie vorher schon geschildert relativ frisch zu
Ascaron gestoßene Daniel Dumont hatte mit „Patrizier 2: Geld
und Macht“ ein prestigereiches Projekt zu verantworten. Henning
Wiechers, ein Absolvent an der Kölner Universität hat zum Thema
„Organisatorische Gestaltung der Softwareentwicklung“ eine
Diplomarbeit geschrieben, die im Internet verfügbar ist. Für mich
ist in dem Fall besonders spannend, dass Patrizier 2 begleitet wurde,
was für dieses konkrete Spiel einen unfassbar tiefen Einblick in
Entwicklungsdetails und Abläufe vermittelt, die man sonst nie
bekommt.
Das
Projekt Patrizier 2 startete im November 1999 mit einer dreimonatigen
Planungsphase. Ursprünglich war die Fertigstellung für September
2000 vorgesehen, tatsächlich erschien P2 Ende November 2000 – nach
knapp 12 Monaten Entwicklungszeit, immer noch eine bemerkenswert
schnelle Zeit für ein Vollpreisspiel. Begünstigt wurde die
Entwicklung durch die nach eigenen Angaben gute Planbarkeit der
Unterfangens und der Tatsache, dass „wir ja nichts Neues gemacht
[haben]“, so Daniel Dumont. Tatsächlich wirkt P2 für mich im
Gesamtbild aller Spiele (insbesondere der jüngeren Spiele, die mehr
Aufwand erforderten) als besonders ausgereift. „Mit einem klaren
Konzept war die Umsetzung viel einfacher“, zitiere ich hiermit
nochmals aus der Diplomarbeit, und wenn man wie ich an einigen
Betatests von Ascaron teilgenommen hat, nun, dann ist es kein
Geheimnis, dass genau das klare Konzept manchmal offensichtlich ein
wenig fehlte...
Noch
im Jahr 2000 erreichten Patrizier 2 Verkaufszahlen, die den VUD-Award
in Gold folgen ließen – mindestens 100.000 Exemplare wurden
verkauft. Auch die Zeitschriften waren begeistert: 85% der PC Games,
die Gamestar vergab das gleiche Ergebnis.
Packshot von Patrizier 2 |
Auch hier: Volle Box mit Handbuch und obligatorischer Seekarte |
Ascaron
hatte es doch eigentlich geschafft: Mit Infogrames, einem Vertrieb,
der ganz große Räder drehen konnte und zwei richtig erfolgreichen
Referenztiteln im Portfolio hatte Ascaron es an die Spitze der
bundesdeutschen Entwickler geschafft. Dazu waren noch ein paar Titel
in der Pipeline, die sehr vielversprechend klangen, sei es Anstoss
Action oder das Patrizier 2 AddOn. Aber leider war der große
Vertrieb nicht allein ein Segen, sondern schlußendlich auch ein
Fluch. Dazu mehr im nächsten Kapitel. Dieses Kapitel hingegen möchte
ich damit beschließen, dass selbst heute, im Jahr 2016, die Spiele
Anstoss 3 und Patrizier 2 insbesondere im deutschen Sprachraum noch
immer eine gigantische Fanbasis haben: Noch immer werden
Trainingswochen erstellt, aktuelle Saison-Datensätze erstellt,
Handelsrouten geplant und Kapitäne angeheuert. Und auch wenn es
Ascaron schon lange nicht mehr gibt und nach den Releases von Anstoss
3 und Patrizier 2 noch etliche Spiele folgen sollten: Noch immer sind
das die beiden Spiele, die Ascarons Ruf auf Jahre hin prägten. Zwei
absolute Meilensteine der Spielegeschichte.