Sonntag, 14. Februar 2016

Die Ascaron-Chronik: Kapitel 5

Insolvenz und Wiederauferstehung (2001 – 2002)

Das Jahr 2001 sollte für die Ascaron Software GmbH ein einschneidendes Jahr werden.

Der größte Teil des Anstoss-Teams arbeitete aktuell an der Erweiterung von Anstoss um den Actionteil, so dass man seine gemanagte Mannschaft auch mit einem Gamepad durch die Stadien hetzen konnte. Man versprach sich einen ernsthaften Konkurrenten zum bereits 2001 starken Widersacher FIFA 2001, der weltbekannten Fußballserie, die allerdings auch 2001 schon den Ruf des „Jahresupdates“ hatte.

Wie der „Chip“ in einem Preview feststellte, gab es viele gute Ideen in diesem Spiel, doch leider war die Präsentation eher typisch deutscher Biedermeier. Ein erhebliches Problem für den actionorientierten Spieler war die durch die – seit jeher in der Anstoss-Reihe – nicht lizenzierten Namen eingeschränkte Authentizität. Im Managerbereich war dies vielleicht ein zu übersehendes Problem, bei Anstoss Action hingegen litt die Atmosphäre dann doch erheblich. Wie immer gab es aber Heerscharen von Fans, die ebenso wie schon bei den vorhergehenden Teilen für die sogenannten Userfiles sorgten: Originale Namen, originale Wappen und originale Vereinsdaten waren schnell im Internet verfügbar und merzten dieses Manko rasch aus.

Packshot von Anstoss Action

Die Testergebnisse Anfang Mai 2001 waren daher, wie eigentlich zu erwarten, nicht schlecht, aber auch keine übermäßig euphorischen Urteile: Während die PC Games etwas müde 73% vergab, wertete die Gamestar mit guten 80%. Die Seite Netzwelt.de vergab sogar 85%. Das Team um den Projektleiter Ingo Biermann konnte eigentlich zufrieden sein. Leider war der Erfolg an den Kassen (mal wieder) nicht so, wie gewünscht, was durchaus am fehlenden Glamourfaktor lag.

Für mich ist eines der besten Features, dass man A3 und AA koppeln konnte. Ascaron veröffentlichte beide Spiele dann auch zusammen in der „Meisteredition“. EA zog mit der Funktion des Koppelns erst 2003 nach, als FIFA Football 2004 und der Fussball Manager 2004 miteinander zur Football Fusion verbunden werden konnten. Durchsetzen konnte sich das Feature aber offenkundig am Markt nicht, denn bereits mit dem FM 2005 wurde das Feature wieder beschnitten, um danach gar nicht mehr angeboten zu werden.

Kurz nach der Veröffentlichung von Anstoss Action wurde bereits der nächste Titel in die Läden gebracht: Die kurzweilige LKW-Simulation „King of the road“, ein lokalisiertes Produkt, welches auch als „Hard Truck 2“ bekannt ist. Entwickelt von einer russischen Softwaregruppe, und unter der Federführung von Ingo Mohr dann an den deutschen Markt angepasst. In der LKW-Sparte hatte der Gütersloher Konkurrent Synetic vor einiger Zeit das gelungene Mercedes Benz Truck Racing veröffentlicht, jedoch wichen die Spielprinzipien deutlich voneinander ab: Während man wie gewohnt bei Synetic einfach drauf los bretterte, galt es nun, termingerecht zu liefern und dabei die Konkurrenz abzuhängen.

Packshot von King of the Road

Werbeposter für King of the Road

Auch hier erwartet den geneigten Spieler wieder einer der typischen Nischenprodukte, die zwar mit Potenzial und Spielwitz aufwarten konnten, aber dennoch nicht so richtig massentauglich waren und damit wieder keine Chartstürmer waren. Bei KotR war das Problem, dass es weder Rennspiel noch Handelssimulation war, und somit keine der beiden Seiten überzeugen konnte. 58% der PC Games sprechen da Bände. JoWood legte dieses Spiel bereits nach einem guten Jahr erneut auf. Den Grund dafür erfahrt ihr in Kürze.

Die E3 in 2001 fand Mitte Mai in Los Angeles statt. Auch unsere Ascaronies waren vertreten und überraschten mit der Ankündigung eines Iso-Taktikspiels mit Adventureeinschlägen bereits für November 2001: Das Motto hieß „Indiana Jones meets Commandos“ und das Spiel hörte auf den Namen „Artefact“. Die veröffentlichten Screenshots zeigten eine detaillierte Grafik, und angesichts des großen Erfolgs von Commandos weckte das Spiel doch einiges an Erwartungen. Das Intro zu diesem Spiel, welches erst vor einigen Jahren bei Youtube verfügbar wurde1, zeigte eine hohe Qualität, und wurde nicht umsonst 2002 mit dem Animago Award „Professional Animation – Game Design“ ausgezeichnet. Auch im offiziellen Ascaronforum gab es bald einen Unterbereich, in dem alle Informationen zu diesem Spiel gesammelt wurden. Leider wurde es schon bald ruhig um dieses Spiel, zunächst die fast schon obligatorische Terminverschiebung, und dann irgendwann das komplette Ausbleiben von Informationen – ein klassisches Beispiel sogenannter Vaporware. Wie ich in einem Gespräch mit Daniel Dumont herausfinden konnte, war Artefact von einem deutschen Programmierteam angekauft worden, so daß Ascaron als Publisher fungieren sollte. Das Projekt wuchs allerdings nicht über den Trailer und ein paar Screenshots hinaus, so dass Ascaron sich gezwungen sah, diesen Deal zu canceln. Interessanterweise hat es ein ähnliches Spiel, oder zumindest etwas, was danach aussah, auf den Resten von Artefact zu basieren nie gegeben. Auch welches Team eigentlich dahinter steckte, lässt sich heute nicht mehr recherchieren. Vielleicht auch besser so. Dennoch schade, denn Artefact wirkte für mich sehr vielversprechend.




So war inzwischen 2001 schon weit fortgeschritten, Anstoss Action war auf dem Markt und die Projektierung von Anstoss 4 war schon im Februar offiziell bekannt gegeben (mit Guido Eickmeyer als Projektleiter), King of the Road war ebenfalls erhältlich, das Patrizier-Team arbeitete neben dem Patrizier-2-AddOn „Aufstieg der Hanse“ auch an einem neuen Projekt und ein weiteres Team vollendete gerade Ballerburg, als Ascaron zum ersten, aber nicht zum letzen Mal das Geld ausging.

Auch so große Firmen wie Sega oder Sierra (welches das Studio Dynamix in 2001 schloß) hatten mit Vertriebsproblemen zu kämpfen. Z.B. meldete auch Ikarion (Hattrick!, Demonworld, Mad News) in 2001 Insolvenz an. Grund dafür war u.a. der bereits einige Monate dauernde Niedergang der Dotcomblase, die zur Insolvenz zahlreicher mit Informationstechnologien wirtschaftender Unternehmen führte, was anderen Unternehmen der Branche die Finanzierung durch Banken extrem schwierig machte. Die Firma Infogrames, die als Vertriebspartner für Anstoss 3 und Patrizier fungierte, kaufte in dieser Zeit sehr viele andere Hersteller von Spielen auf, um sich so zeitweise als drittgrößter Hersteller von Spielesoftware auf dem Weltmarkt präsentieren zu können (nach EA und Vivendi). Die kleine GmbH, die da in Gütersloh national erfolgreiche Spiele veröffentlichte, wurde mit der Zeit uninteressant, und es wird behauptet, das Infogrames den Kontrakt wieder zurückzog und die Rückzahlung von Entwicklungsvorschüssen verlangte – ein Geld, was schlichtweg bereits investiert war und daher nicht auf dem Konto zur Verfügung stand. Laut damaliger Pressemitteilung stand zudem Anfang 2001 ein Investor in den Startlöchern, dieser bekam jedoch kurz vor Vertragsabschluß noch Muffensausen und trat zur Überraschung der Geschäftsführung zurück.

Ein anderer Grund, der meines Erachtens eine nicht untergeordnete Rolle spielt, war, dass sich Ascaron mit der Entwicklung von Anstoss Action deutlich verhoben hat und dieses Spiel nicht annähernd so erfolgreich war, wie es die Entwicklungskosten verlangt hätten. Auch die Entwicklung des Spiels Ballerburg soll angesichts des eigentlich simplen Spielprinzips unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht haben.

Und so blieb der Ascaron Software GmbH am 31.08.2001, dem Monat des zehnjährigen Firmenjubiläums, nichts anderes übrig, als wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenz zu beantragen. Die bereits abgeschlossenen Vertriebsverträge mit den USA oder wichtigen asiatischen Staaten für u.a. Patrizier 2 waren nicht rechtzeitig genug abgeschlossen worden, um den Kapitalbedarf zum Jahresende zu decken. Ein für den 15.September geplantes Fanfest fiel daher aus. Es wurde am Tag nach den Terroranschlägen von New York aus verständlichen Gründen abgesagt.

Der Insolvenzverwalter, Herr Frank Welsch, hatte einen großen Anteil daran, dass Ascaron bereits Anfang 2002 als Ascaron Entertainment GmbH wieder auferstand. Heino Nollmann konnte als neuer Gesellschafter in die Firma aufgenommen werden. Nollmann, als Medienunternehmer gerade in Gütersloh gut bekannt, brachte genug Kapital in die Firma, damit das neue Ascaron sämtliche Rechte – bis auf King of the Road, welches von JoWood erworben wurde - inklusive der Marke vom alten Ascaron kaufen zu können. Auch konnten fast alle Mitarbeiter übernommen werden, so dass es fast nahtlos mit dem Geschäftsbetrieb weiter gehen konnte. Weiterhin konnte Holger Flöttmann weiterhin Geschäftsführer bleiben, da Nollmann wohl großes Vertrauen in die Fähigkeiten von Flöttmann setzte.

Während dieser Phase, bevor Anfang 2002 alles wieder in geordneten Bahnen lief, wurde das AddOn für Patrizier 2 veröffentlicht. Bereits im Juli 2001 angekündigt, wurde das AddOn zum bemerkenswert hohen Preis von damals 60 DM (ca. 30 EURO) Mitte Oktober veröffentlicht. Die PC Games vergab stolze 85%, die gleiche Wertung kam von 4Players.de. Um diese Erweiterung gab es wenig medienwirksames Gewese im Vorfeld, was durchaus als Verdienst des Projektleiters Daniel Dumont gewertet werden kann. Soweit, so wenig spektakulär, aber dafür umso qualitativ hochwertiger. Und zwar derartig hochwertig, dass fast ein Politikum daraus wurde: Am 20. November gab es da angeblich eine Meldung der Abendzeitung München, in der verkündet wurde, dass das bayerische Innenministerium an der Indizierung von u.a. Patrizier 2 überlegen würde, da aufgrund des hohen Suchtpotenziales dieser Endlosspiele ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet werden würde. Der Autor dieses Forumsbeitrages, ein User namens PeterPyro, gab bereits wenige Stunden nach dem Posten des Beitrages in offiziellen Ascaron-Forum zu, sich diesen Artikel nur ausgedacht zu haben. Doch der Stein war ins Rollen gebracht: Neben der Teleschau veröffentlichte auch die SZ diesen Sachverhalt, nur um später kleinlaut zugeben zu müssen, dass hier wohl keine angemessene Quellenprüfung stattgefunden hatte.2

Packshot des Patrizier-2-AddOns

Im November 2001 dann wurde dann ein weiteres Spiel veröffentlicht. Entgegen der bisherigen Schwerpunkte WiSim oder Manager war Ballerburg ein sympathisches, wenn nicht sogar total durchgeknalltes 3D-Schießspiel, bei dem es äußerst simpel darum ging, die gegnerische Burg zu zerstören: Eine bekannte Spielidee, die bereits auf Heimcomputern als Rampart, Artillerie oder Katapult bekannt war. Ballerburg wurde sowohl für den PC als auch für die Playstation programmiert und war eine Entwicklung, die auf einen ursprünglichen Konzept von Gerald Köhler basierte. Ballerburg war bereits in den 80ern unter Atari-ST-Besitzen ein Begriff: Eckhard Kruse hatte dieses monochrome Spiel programmiert und verteilte es als Public Domain. Das nun von Ascaron kommerziell vertriebene Spiel hatte viele Gemeinsamkeiten mit dieser Urversion – allerdings wurde wohl versäumt, Herrn Kruse über diese Neuentwicklung in Kenntnis zu setzen. Wenn schon der Name des Spiels verwendet wird, gehört das ja wohl zum guten Ton! Angesichts der Tatsache, dass Gerald Köhler damals mit Anstoss auf dem Atari ST begann – und zwar nach eigener Aussage 1987 – und Ballerburg auf dem Atari ST auch 1987 entstand, so kann es durchaus sein, dass Köhler dieses Spiel kannte. Aber im Endeffekt ist das alles Schnee von gestern... 3

Ascaron motzte das Spiel durch eine Kampagne kräftig auf, dazu gab es die Möglichkeit zu forschen, Magie einzusetzen, die Verteidigung zu stärken und im Hotseat-Modus einen Freund symbolisch dem Erdboden gleichzumachen. Dazu gab es ein minutenlanges gerendertes Intro (gerade die Introfrage sollte später bei anderen Spielen noch für Diskussionen sorgen). Die Diskrepanz zwischen Aufwand und gewünschtem vertrieblichem Erfolg sollte sich jedoch auch bei Ballerburg zeigen: Die Testergebnisse waren nicht schlecht: Spieletips.de gab 79%, PC Games 78%, die Gamestar 75%. Und doch wurde wieder kolportiert, dass Ballerburg viel zu teuer gewesen sein soll. Von bis zu einer Million DM war die Rede, ein Betrag, der mit derart durchschnittlichen Urteilen an Erlösen nicht zu erreichen war. Die fast gleichzeitig veröffentlichte Playstation-Version war eine hervorragende Adaption der PC-Version, die auch noch lange im Playstationstore für die PSP auf englisch erhältlich war.

Packshot von Ballerburg

Zu Beginn des Jahres 2002 konnte dann die Rettung von Ascaron verkündet werden. Die Arbeiten konnten weiter gehen, insbesondere am neuen Projekt des Teams Dumont: Neben der Veröffentlichung von Patrizier 2 Gold wurde auch das neue Spiel bekannt gemacht: Für den Juni 2002 wurde „Port Royale: Gold, Macht und Kanonen“ angekündigt. Schnell war klar: Port Royale könnte das von vielen erwartete „Patrizier meets Pirates!“ werden, denn gerade der Ausbau des Piratenfeatures war als einer der wenigen kleinen verbleibenden Kritikpunkte an Patrizier 2 Gold geblieben. Tatsächlich war der bereits weit fortgeschrittene Entwicklungsstand des Spiels auch ein Grund, weshalb sich ein Investor fand, der Ascaron am Leben erhielt. Anfang Mai spendierte Ascaron allen sehnsuchtsvoll wartenden Spielern bereits ein auf der 3D-Engine von PR basierendes Minispielchen namens „Piraten vor Port Royale“ (welches, um es mal vorweg zu nehmen, meiner bescheidenen Meinung nach durchaus angemessen ins Hauptspiel hätte integriert werden können).

Dennoch gab es Vereinbarungen, die Ascaron zwangen, Port Royale Mitte Juni 2002 in die Märkte zu bringen. Damals schien es Ascaron wichtiger, die Vertriebspartner bei Laune zu halten und geschlossene Termine einzuhalten. Dass mit dem Kauf unfertiger Software aber leider die wichtigsten Teilnehmer am Marktkreislauf verärgert wurden, nämlich die Endkunden, trat gerade bei Port Royale deutlich zutage. Die Gamestar statuierte nämlich ein Exempel an Ascaron. Dank der letzten Veröffentlichungen, die erst nach mehrere Patches fehlerfrei liefen, wollte die Redaktion die Käufer sensibilisieren. Port Royale wurde mit einer 72%-Wertung abgestraft. Im Vergleich: Die PC Games vergab 88%, die PC Action 89%. Allerdings häuften sich die Beschwerden der Kunden im Forum derart, dass Ascaron sich genötigt sah, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen, die über das einfach Beheben der Bugs und Abstürze hinaus gingen. So wurde in den folgenden Wochen neben den nötigen Patches nach ausführlicher Pressemitteilung auch ein Mini-AddOn verschenkt, in dem dann nachträglich Features eingebaut wurden, mit denen peinlicherweise vorher schon geworben wurde (konkret z.B.: Das Spielerversteck). Auch einer Erweiterung der Missionen, der bisher sowieso schon ansehnlichen Grafik und einiger wirtschaftlicher Feinheiten machten das AddOn zu einem dieser Programmteile, die nach Ansicht der meisten Spieler eigentlich schon von Beginn an im Spiel integriert hätten sein sollen. Und die Gamestar ließ sich dann doch noch herab und gab im Nachtest dann gnädigere 84%.

Packshot von Port Royale

Endlich wieder eine gut gefüllte Box!

Die Special Edition (leider kein größeres Bild vorhanden)
Im Ascaron-Shop gab es übrigens eine Special-Edition: Port Royale in originaler Holzkiste mit Echtheitszertifikat als Flaschenpost und einer Piratenflagge dazu. Und als sich dann zeigte, dass die Bugjagd beendigt war, wurde Port Royale in einer Gold-Edition inkl. Mini-AddOn einfach nochmal aufgelegt, zu erkennen am goldenen Aufkleber auf der Verpackung. Port Royale war übrigens das letzte Spiel von Ascaron, welches in der regulären Auflage in der sogenannten Eurobox erschien. Die künftigen Spiele kamen dann meist in DVD-Amarays.

Während die Patrizierserie sich also neu definierte und das karibische Flair ins Programm aufnahm, stand ein weiterer Paradigmenwechsel an: Nach Anstoss 3 sollte Anstoss 4 kommen. Man nehme: Eine Menge Anstossanhänger – nein, sagen wir korrekt: Anstoss-Jünger – die dermaßen gespannt auf den nächsten Teil des legendären Managers sind, dass das Forum penibelst auf Aussagen offizieller Mitarbeiter gescannt wird und diese thematisch sortiert in einen eigenen Thread zusammenfassen (die unter den Fans legendäre „A4-Featureliste“ vom User GTStar). Dazu Vorschußlorbeeren in reichlicher Höhe von zahllosen Zeitschriften oder Internetseiten, denn bislang schaffte es Ascaron ja in der Anstoss-Serie immer, einen draufzusetzen. Weiterhin füge man in Ermangelung der beiden bisherigen Hauptzutaten einige neue Zutaten hinzu, die bereits das Genre kennen und nun endlich als Hauptverantwortliche zu Ruhm und Ehre kommen sollen. Außerdem schadet es nie, dem Re- bzw. Konzept jederzeit neue Ideen hinzuzufügen, vor allem von unterschiedlichen Personen, damit auch jeder seinen Teil beigetragen hat. Zur Dekoration versende man einige Screenshots, die erhebliche Erwartungen in der potenziellen Käuferschaft schüren. Das Ganze füge man dann in einer viel zu kurzen Zeit zu einem Projekt zusammen, in dem innerhalb von nur etwa einem Jahr ein vollständiger Fussballmanager von Grund auf neu programmiert werden soll und der selbstverständlich die bisherigen Verkaufsrekorde des Vorgängers brechen soll. Das „fertige“ Produkt garniere man dann mit zwei Besonderheiten: Zum einen veröffentliche man das Spiel auf dem zu der Zeit noch nicht überall verbreiteten Format „DVD“ (um marketingwirksam eine Special Edition inkl. DVD-ROM-Laufwerk rausbringen zu können) und zum anderen lege man den Veröffentlichungstermin dermaßen eng zu dem des direkten Konkurrenzproduktes „FM 2003“ (pikant: der erste FM von Gerald Köhler), dass man sich zwar prima dem Weihnachtsgeschäft öffnet, dafür aber das Team zu zahllosen Überstunden zwingt. Voilà, und fertig ist der Blockbuster Anstoss 4! Oh, sagte ich Blockbuster? Entschuldigt, ich meinte Rohrkrepierer.

Es kam kurz vor dem Release zum übelsten Fehler, den man sich vorstellen kann: Die zuerst an den Handel ausgelieferten Exemplare des Spiels waren fehlerhaft und mussten zurückgerufen werden, was zu einer kostspieligen Neupressung führte. Und nur wenige Tage danach ging EA mit einer einstweiligen Verfügung gegen Ascaron vor – angeblich waren die Spielerdaten in A4 teilweise die gleichen wie im FM. Dies wurde in der EA-Community festgestellt, da die Spielerdaten im Editor schon vor Release zur Verfügung gestellt wurden.Vor dem Landgericht Hamburg einigte man sich dann schnell auf einen Vergleich, um die weitere Auslieferung nicht noch mehr zu verzögern. Doch der Imageschaden war da. Und dann gab es da noch das Spiel selbst...

Der Hauptkritikpunkt an Anstoss 3: Es ist ein Optionsmonster. Anstoss 4 sollte daher entschlackt werden, mit schlauen Assistenten versehen werden, die unliebsame Aufgaben zufriedenstellend übernehmen konnten, dazu sollte der eigentliche Spieltag mit tollen 3D-Szenen geschmückt werden. Leider ist beim Entmotten der Spielwitz auch gleich mit entsorgt worden. Die Bildschirme und Menüs waren steril, die Spielszenen zu langweilig oder völlig haarsträubend und insgesamt war A4 nicht griffig genug. Dazu fehlte der wichtigste Bestandteil: Der Pallino war quasi nicht mehr vorhanden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Spiel erstmals gestartet habe und mir die grünen Screens erstmal einen Schreck eingejagt haben, wobei ich fest der Meinung war, dass da doch noch irgendwas witziges kommen musste! Doch es wurde irgendwie nicht attraktiver.

In den Tests der Spieleredaktionen kam A4 kurioserweise sehr unterschiedlich weg: Während Gbase.de mit 7,0 (von 10) wertete und auf einige Bugs aufmerksam machte, war die PC Games sehr kritisch und bestrafte das Bugfestival mit einer unterirdischen Wertung von 51%! Die Gamestar, die sich in Sachen Port Royale (für das am 08.11.2002 dann der Patch 1.40 erschien) noch zum Verfechter der fertigen Spiele aufschwang, vergab jedoch 79%. Insgesamt war also deutlich: A4 war der Tiefpunkt der Serie und EA übernahm mit dem FM 2003 eindeutig das Zepter auf dem Managerthron. Auch einige eilig hinterher geschobene Patches – eine Vorgehensweise, die sich immer mehr etablierte – änderten nichts wesentliches mehr an Präsentation und Dynamik. Ein Desaster.

Packshot von Anstoss 4

Dieser Screenshot aus A4 erinnert fatal an die Büros in der Dieselstr. 66.

Ich muss an dieser Stelle jedoch eine Lanze für Anstoss 4 brechen. Klar – A4 ist nicht Anstoss 3 Extended oder gar ein Meilenstein des Genres. Dennoch: Es sind gute Ideen enthalten, die mir persönlich in späteren Auflagen ein wenig fehlen, wie beispielsweise die 3D-Verhandlungen bei Transfers. Und alles in allem ist Anstoss 4 auch eigentlich ein recht zufriedenstellender Fussballmanager. Der große Negativpunkt ist eben, dass der Vorgänger einfach weiterhin der bessere Manager war.

Ein unangenehmer Nebeneffekt das Clashes EA vs. Ascaron war weiterhin, dass die Internetseite von Ascaron inklusive des stark frequentierten Forums aufgrund des Nutzeransturms abschmierte, deswegen die Forumssoftware neu aufgesetzt werden musste und dann ab Anfang Dezember erst wieder unter der Adresse www.Ascaron-Forum.de zu erreichen war. Auch die Firmenhomepage musste neu aufgestellt werden, das alte HTML-Gerüst hatte ausgedient und wurde durch ein etwas angenehmeres Design ersetzt.

Und so endete 2002 für Ascaron sehr unglücklich. Für 2003 wurde das Budgetspiel Big Scale Racing vom Entwickler Bumble Beast in Zusammenarbeit mit Pointsoft angekündigt, aber der Schatten der A4-Pleite hing über der Firma wie ein Damoklesschwert. Der Ruf der Serie war über Jahre aufgebaut worden, doch dieser Teil machte alles davon kaputt.

Lediglich einen Hoffnungsschimmer gab es, und der beruhte kurioserweise auf der Pleite eines anderen Unternehmens: Es geht um die bekannte Truppe Ikarion aus Aachen, von der bereits kurz die Rede war. Ikarion war bekannt für Hattrick und Demonworld, und entwickelte seit dem Jahr 2000 an einem Action-Rollenspiel unter der Lizenz für „Das Schwarze Auge“, einem bekannten Pen&Paper-Rollenspiel. „Armalion“, so der Arbeitstitel des Spieles, war zu einem großen Teil fertig gestellt4. Doch da sich für das Spiel kein Investor fand, musste Ikarion Ende 2001 Insolvenz anmelden. 2002 kaufte Holger Flöttmann aus der Insolvenzmasse die Teile dieses Spiels, nur ohne DSA-Lizenz. Er gründete ein Tochterunternehmen von Ascaron, die „Studio II GmbH“ in Aachen, übernahm einige Mitarbeiter von Ikarion und wollte dieses Spiel weiterentwickeln. Das Spiel bekam nach der Übernahme den Namen „Sacred“ und sollte für eine wirklich große Überraschung sorgen.

1 Das Video könnt ihr hier sehen: https://www.youtube.com/watch?v=eCspWs1vygQ

2 Einen Artikel dazu findet ihr bei Heise: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Spieleverbot-durch-CSU-eine-Ente-48116.html

3 Die Hintergründe zum „echten“ Ballerburg gibt es hier: http://www.eckhardkruse.net/atari_st/baller.html


4 Der Zulieferer Spellcraft Studio hat Screenshots des Spiels und des Intros auf 2000 bzw. 2001 datiert.